Mit ihrem Zyklus “Sa Maitresse“ hat Ute Reichel während eines Arbeitsaufenthaltes in Südfrankreich einen neuen Weg eingeschlagen. Nicht nur, weil sie ein neues Medium experimentell erprobt; sie verlässt hier eine Straße, der sie seit ihrer Studienzeit gefolgt ist: Über viele Jahre beschäftigte sie vorwiegend die detaillierte Darstellung menschlicher Physiognomie, individuell erfasster Persönlichkeit, der sie im Portrait-Bildnis – zuletzt in ihrer Gemälde-Folge "Das Ende des Zanzigsten Jahrhundert" und der gezeichneten Suite Hamburgs Senatorinnen – näher zu kommen sucht.In ihrer neuen graphischen Folge aber widmet sie sich einem Thema, das zwar inhaltlich sehr persönliche Erfahrungen reflektiert, zugleich aber sowohl inhaltlich wie formal abstrakte Elemente beinhaltet. Ute Reichel schildert die Geschichte einer Dreiecksbeziehung aus der Sich der Geliebten ...Man kann in Kapiteln, in Reihen, in Worten Geschichten schreiben: das ist Literatur im eigentlichen Sinne. Man kann auch in einer Folge graphischer Darstellungen Geschichten erzählen: Das ist Literatur im Bilde... Es bedeutet die vollständige Erfindung eines Vorganges, dessen einzelne Teile in der Zeichnung nebeneinander gestellt werden und in sich ein Ganzes bilden ...", formulierte der von Goethe bewunderte Rodolphe Töpffer aus Genf, der die theoretischen Grundlagen für den Bildroman im frühen Neunzehnten Jahrhundert formulierte.Mit einem solchen, vielmehr einer Novelle, haben wir es hier zu tun, einer Collage aus suggestiven Bildern und immer wieder gehörten oder gelesenen Worten.Sie fügen sich zu einem Ganzen, sind gleichberechtigt, ergänzen sich und greifen – einmal diesem Gestaltungsprinzip unterworfen – soweit ineinander, dass Bild ohne Text und umgekehrt keinen Sinn ergäben ...Das Zusammenspiel der figurativen Elemente mit den Letter in "Sa Maitresse" lässt an Beispiele in der Buchillustration der russischen und französischen Avantgarde, auch an die New Image Paintings der späten Siebziger denken, kompositorisch und koloristisch ausgewogen, bleibt es leicht und offen, spielerisch. Farbe, Zeichen, Druck und Typographie, das Lettering ergänzen sich zu einem Ganzen – wie es bei gelungenen Plakaten und Comics der Fall ist, die besser als es viele Worte alleine vermochten, Geschehnisse und Fiktion präsent machen. In der Kunstgeschichte lässt – wenn man nicht bei den Ägyptern, der griechischen Vasenmalerei oder dem Teppich von Bayeux beginnen möchte – sich dieses gestalterische Prinzip von den religiösen Einblattdrucken, über volkstümliche Bilderbögen, über Wilhelm Busch, Jimmy Swinnwerton, Richard F. Outcault und Lyonel Feininger bis hin zu Lyonel Lichtenstein verfolgen ...
Auszüge aus einem Text von Jürgen Schilling
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